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Extreme Schneemassen - Lawinenwinter 1999

23:00
31. Mai 2007

Extreme Schneemassen
Lawinenwinter 1999

Massiver LawinenabgangIm Winter 1998/1999 hat es im nördlichen Alpenraum Rekordschneefälle gegeben. Massive Lawinenabgänge waren die Folge. Eine der tödlichsten und zerstörerrischsten Lawinen traf die Gemeinde Galtür in Tirol. - © Lawinenwarndienst Tirol

Die Neuschneemengen im Winter 1998/1999 waren auf der Alpennordseite extrem. Von Ende Januar 1999 bis Ende Februar 1999 fielen in den Staulagen innerhalb von 30 Tagen über fünf Meter Neuschnee. Dieser Wert übersteigt die mittleren Neuschneemengen eines gesamten Winters.

Statistisch gesehen gibt es solch ein Ereignis nur einmal in 50 bis 100 Jahren, abhängig von der Region. Die Kombination aus viel Neuschnee, Sturm und Temperaturschwankungen führte zu zahlreichen, verheerenden Lawinenabgängen.

Die außergewöhnlichen Neuschneemengen waren auf drei Schneefallperioden zurückzuführen: Während die Schneehöhen bis zum 25. Januar moderat waren, gab es vom 27. bis zum 31. Januar die erste Nordweststaulage.

Schneedaten Januar - Februrar 2019Anhand der Schneedaten für den Zeitraum Januar und Februar 1999 sind gut die drei herausragenden Schneefallereignisse zu erkennen.

Dabei wurden feuchte Luftmassen gegen die Alpennordseite geführt, was zu andauernden und ergiebigen Schneefällen führte. Weitere Dauerschneefälle mit ähnlicher Großwetterlage folgten vom 5. bis 12. Februar und vom 17. bis 25. Februar. In diesem letzten Zeitraum kam es zu den Lawinenabgängen in Evolene (Wallis), Valzur (Tirol) und Galtür (Tirol).

Aufgrund der teils sehr großen Lawinengefahr (höchste Stufen der fünfteiligen Lawinenskala) wurden viele Straßenabschnitte gesperrt. Zahlreiche Ortschaften waren von der Außenwelt abgeschnitten und mussten über Helikopter mit den wichtigsten Dingen versorgt werden.

Die Lawine von Galtür

Galtür nach dem LawinenabgangGaltür nach dem Lawinenabgang. Im mittleren Bereich sieht man den verschütteten Teil des Ortes. Durch neue Schneefälle ist die Spur der Lawine nicht mehr zu erkennen. Das Bild ist aus der Richtung fotografiert, aus der die Lawine ins Tal stürzte. - © Bundesheer Österreich

Nach mehreren Perioden mit starken Schneefällen hat sich die Situation Mitte Februar im österreichischen Paznauntal zugespitzt. Die Zufahrt nach Galtür wurde immer wieder gesperrt, die Versorgung der Einheimischen und der Gäste über Helikopter geregelt.

Um den 20. und 21. Februar wurden viele Touristen ausgeflogen. Mit Einsetzen neuer, heftiger Schneefälle mussten die Flüge unterbrochen werden. Viele Bewohner und Urlauber konnten ihre Häuser nicht mehr verlassen, nur der als lawinensicher geltende Dorfkern war noch freigegeben.

Am 23. Februar um 16 Uhr donnert dann eine in Staub gehüllte riesige Lawine talwärts. Die Lawine war mehrere hundert Meter breit und verschüttete Teile des Dorfes. Sofort wurde klar, dass sich eine Katastrophe großen Ausmaßes ereignet hat. Zahlreiche Häuser wurden zerstört und über 50 Menschen verschüttet.

Teils wurde mit bloßen Händen nach ihnen gegraben. Etwa 20 Personen konnte lebend geborgen werden, 31 kamen ums Leben. Durch die schlechten Wetterbedingungen konnten von außerhalb keine Rettungskräfte nach Galtür vorstoßen. Bis zum nächsten Morgen war man somit auf sich allein gestellt.

Rettungskräfte suchen nach LawinenopfernLawinensonden sind das wichtigste Hilfsmittel, um die Schneedecke Stück für Stück systematisch nach Verschütteten zu durchsuchen. - © Bundesheer Österreich

Am nächsten Morgen gegen 6:45 Uhr konnten dann die ersten Helikopter mit Hilfskräften von Landeck aus nach Galtür fliegen. Mit dabei sind etwa 200 Personen, Lawinensuchhunde und medizinisches Material.

Im Laufe des Vormittags wurde die Zahl der Helfer auf etwa 400 aufgestockt. Erst nach der Bergung der letzten vermissten Person wurden Reporter und Filmteams mit militärhubschraubern nach Galtür geflogen, um sich selbst ein Bild von der Lage zu machen.

Ab etwa 16 Uhr setzte erneut starker Schneefall ein, sodass der Flugbetrieb wieder eingestellt werden musste. Kurz danach kam es im benachbarten Valzur zu einem weiteren Lawinenabgang, bei dem rund 10 Menschen verschüttet wurden.

Suche nach VerschüttetenVerschüttete drohen in den Trümmern unter den Schneemassen zu erfrieren oder Verletzungen zu erliegen. - © Bundesheer Österreich

Der Pilot eines Hubschraubers des Innenministeriums, der es nicht mehr vor dem Schneesturm zurück nach Landeck geschafft hatte, riskierte trotz des schlechten Wetters den Flug in den fünf Kilometer entfernten Ort.

Auf diese Art und Weise konnten in relativ kurzer Zeit rund 150 Helfer mit Suchhunden und Ausrüstung an den Einsatzort gebracht werden. Vier verschüttete Personen konnten noch lebend geborgen werden, sieben Personen kamen ums Leben.

Lawinenwinter 1999 - Augenzeugenbericht

Lawine von GaltürDie Lawine besteht aus drei Teilen. Während der linke Teil (Weisse Riefe) kaum Schäden anrichtet, stürzt der Ast Äußere Wasserleiter genau auf den Ortsteil Winkl zu und bringt die Verwüstungen. Der rechte Ast (Innere Wasserleiter-Lawine) verursacht keine Schäden. - © Lawinenwarndienst Tirol

Med.-Rat. Dr. Walter Köck (Ehrenbürger von Galtür) berichtet über das Lawinenereignis. Vielen Dank an die Gemeinde Galtür, die uns die Genehmigung zur Veröffentlichung erteilt hat:

"Seit dem 6. Februar ist das Paznaun gesperrt, in kleineren und größeren Zwischenräumen ausgenommen. Höchste Lawinengefahr ist gemeldet. Dies bestätigt sich: Am 12. Februar liegen zwischen Mathon und Kappl die meisten Lawinen, die wir kennen, im Tal bzw. auf der Straße.

Die Gäste werden unruhig, ein Gratis- Nachtskilauf hebt die Stimmung, Hubschrauber bringen Notwendiges, die ersten Gäste fliegen ab. Am 18. Februar gehen Lawinen auf der Sonnseite ab, am 20. kommt eine Lawine vom Gorfen, so groß wie nie, aber ohne Opfer. Außer dem Dorfkern sind in Galtür alle Straßen gesperrt, am 20. und 21. Februar können noch viele in letzter Minute ausfliegen.

Ein Schneesturm beginnt, er hält den ganzen Montag an, am Dienstagvormittag scheint er nachzulassen, doch nachmittags geht es gleich weiter. Die Nervosität in Galtür steigt, das Tal ist gesperrt, Gäste werden in die Häuser verbannt, ihr Aktionsradius auf das Dorfzentrum eingeschränkt, das viele gar nicht erreichen können.

Um abzulenken, veranstalten die Jungen ein Fasstaubenrennen vom Widum herunter auf den Platz. Große Beteiligung mit vielen Zuschauern, es schneit und schneit die Fahrer sind fast nicht zu erkennen, trotzdem allgemeine Heiterkeit.

Die Lawine geht ab

Selbst massiv gebaute Häuser hatten keine ChanceSelbst massiv gebaute Häuser hatten der unvorstellbaren Wucht der eingeschlagenen Schneemassen nicht standgehalten. - © Bundesheer Österreich

Um ca. 16.00 Uhr ist die Belustigung zu Ende, die Leute gehen heimzu, zerstreuen sich - ein dumpfer Knall - es wird noch dunkler als es schon ist, in Umrissen sieht man eine große Staubwolke über den Häusern, die sich bald verliert: "Dös ischt a Lahna! ", sagen wir in der Sicherheit unseres Hauses und denken uns nichts Schlimmes dabei, sahen wir doch eine solche schon öfter.

Wir haben uns getäuscht, so etwas sah noch niemand: Wir sollten ein Drama erleben, wie es in der Geschichte Galtürs noch keines gab, ein Drama, das nur einen Akt hatte, der insgesamt vielleicht eine Minute - für die Betroffenen Bruchteile einer Sekunde - dauerte, aber ein Drama mit vielen Schauplätzen werden sollte.

An diesem 23. 2. 1999 um 16.00 Uhr ging eine Lawine mit unvorstellbarem Ausmaß vom Sonnberg, nördlich des Ortes, ab. Von der Abrissstelle, ca. 2.700 Meter hoch, im ca. 35 bis 40 Grad steilen Gelände des Grießkogls stürzten die Schneemassen immer schneller werdend über die "Weiß Riefi,' und die "Wasserlatara" in einer Breite von ca. 400 Metern gegen Galtür.

Eine ungeheure Druckwelle ließ ihre Gewalt ins Unmessbare und ihre Auswirkungen ins Unvorstellbare anwachsen.Die ersten Gerüchte wiederholen sich immer wieder, Leute, die dort waren, bestätigen es- im "Winkl", dem westlichen Teil von Galtür, habe die Lawine gewütet, Chaos herrsche dort und Verwüstung.

Bagger verladen die extrem verdichteten Schneemassen und Trümmer auf LKWs. Bagger verladen die extrem verdichteten Schneemassen und Trümmer auf LKWs. - © Bundesheer Österreich

Das "Haus Litzner" sei dem Erdboden gleichgemacht, das "lglu" verschwunden, weitere Häuser schwer beschädigt, die neue Siedlung teilweise zerstört oder ganz zertrümmert. Es gäbe viele Tote, Gäste sowie Einheimische, erste Namen werden zaghaft genannt.

Und es schneit und schneit, der Wind heult unheimlich und wirbelt den Schnee um Häuser und Dächer und über einen Lawinenkegel, den man vorerst mehr ahnen als sehen kann.

Abgeschnitten von jeder auswärtigen Unterstützung läuft in dieser Nacht eine Rettungs-, Berge- und Betreuungsaktion ab, wie es sie in der Form noch nie gab, die in der Zusammenarbeit von den Galtürern und ihren Gästen einmalig werden sollte, einmalig als Teamwork aller, ohne Stars.

Es erwies sich als Glück in der Not, dass sich unter den Herbeigeeilten so viele Profis im Helfen befanden, Gendarmeriebeamte, Bergführer, Schilehrer, Bergrettungsleute, Feuerwehrmänner, Normalbürger und Gäste noch und noch, die sich den Mannschaften anschlossen und bis zur Erschöpfung mitarbeiteten.

Erst am nächsten Morgen können Hubschrauber starten

RettungshubschrauberWegen des anhaltend schlechten Wetterbedingungen können die ersten Hubschrauber mit Hilfskräften erst am Morgen des nächsten Tages in das Katastrophengebiet aufbrechen. - © Bundesheer Österreich

Wie Musik in den Ohren klang uns allen das Dröhnen des ersten Hubschraubers, der um 6.45 Uhr am nächsten Morgen in Galtür landete und eine Rettungsaktion aus der Luft einleitete, wie es sie in Österreich noch nie gab.

Prim. Dr. Koller, der ärztliche Einsatzleiter, mehr oder minder auf ein Chaos gefasst, war sichtlich erleichtert, als ihm Gemeindearzt Dr. Treidl mit seinem Ärzteteam die Verletzten in gutem Zustand übergab.

Wir freuen uns über die Ärzte, das Bundesheer, die Bergrettung, Gendarmerie, Alpingendarmen, das Rote Kreuz und die Hundestaffeln, die nach Galtür geflogen kamen. Tagsüber läuft die größte Hubschrauber- Evakuierung Österreichs an, unsere Gäste können heimfliegen.

Auch Lawinenhunde-Staffeln sind mit im Einsatz. Es ist ein Rennen gegen die ZeitAuch Lawinenhunde-Staffeln sind mit im Einsatz. Es ist ein Rennen gegen die Zeit. - © Bundesheer Österreich

Insgesamt kamen bei dem Lawinenunglück 31 Personen, Einheimische und Urlauber, ums Leben. Aber es konnten auch 20 Menschen lebend geborgen werden. Das Unglück in Galtür ist ein furchtbarer Schlag für die Gemeinde, die Hinterbliebenen und die Einwohner.

Wie es im normalen Leben nie möglich wäre, konnte dabei aber eine Gemeinschaft zeigen, was sie, in höchster Not, auf sich allein gestellt, zu leisten imstande ist. Der Einsatz hatte Modellcharakter und war eine medizinische und organisatorische Großleistung, ein Produkt guter Zusammenarbeit unterschiedlichster Organisationen in einem Dorf und des persönlichen Einsatzes.

Wir werden noch lange trauern um die Toten des Dorfes und um die Gäste, die bei uns starben. Seither ist in Galtür nichts mehr, wie es war, und es wird auch nie mehr so sein, wie es war, denn uns alle hat die Lawine gewandelt, fest zusammengeschweißt, um Erfahrungen reicher gemacht. Dies und das Gedenken an die Verstorbenen wird uns trotz 31 Gräbern die Kraft geben, mit Gott in eine gute Zukunft zu gehen.“

Was hat sich seit 1999 geändert?

Schutzmaßnahmen in GaltürUm den sofortigen Aufbau der zerstörten Häuser zu gewährleisten wurden noch im Jahre 1999 zwei gewaltige Schutzmauern am Talboden errichtet. - © Gemeinde Galtür

Die Lawine vom 23. Februar 1999 hat ein unvorstellbares Ausmaß angenommen. Gegen alle Erwartungen ist die Lawine bis in den als gefahrenfrei geltenden Bereich (grüne Zone) vorgedrungen. Die gefallene Schneemenge in Galtür war im Februar 1999 insgesamt sechs Mal höher als der Mittelwert und um 40 Prozent höher als der bis dahin gemessene Höchstwert.

Speziell in Galtür wurden als Sofortmaßnahme zwei Schutzmauern am Talboden errichtet. Dabei handelt es sich um 6 bis 12 Meter hohe Dämme, die ein Vordringen der Lawinen verhindern können.

Weitere Schutzmauern kamen später dazu. Alle zerstörten Häuser wurden wieder aufgebaut und in lawinensicherer Bauweise (Stahlbeton, Schutzfenster) ausgeführt. Diese Häuser haben jetzt einen dreifachen Schutz: Anbruchsverbauung, Lawinendamm und eine stabile Bauweise.

Verbauungen Solche Verbauungen sollen die Entstehung einer Lawine quasi im Keim ersticken. - © Lawinenwarndienst Tirol

Neben den baulichen Veränderungen wurden zahlreiche andere Maßnahmen ergriffen. Dazu gehörten die Errichtung weiterer Wettermessstationen sowie die Vernetzung mit den Daten der Schweizer Kollegen (Silvretta-Gebiet) verbessert.

Darüber hinaus wurde ein verbessertes Notversorgungsprogramm bei eventuellen Straßensperren aufgelegt. Dazu gehören regelmäßige Schulungen und Übungen. Vielen Dank an die Gemeinde Galtür für die Bereitstellung dieser Informationen.

Fazit

Der Lawinenwinter 1999 mit Großschadensereignissen im gesamten Alpenraum hat wesentlich zur Beschleunigung der Entwicklung von Lawinenvorhersage-Modellen und Simulationen beigetragen - Maßnahmen, die in Zukunft helfen sollen, ähnliche Unglücke zu verhindern. Bei der Katastrophe kamen in der Schweiz 17 Personen ums Leben, in Österreich waren 38 Todesopfer zu beklagen.
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